„Wir werden immer mehr zu Konsumenten“

Kabarettist René Sydow hielt am 23. März ein leidenschaftliches Plädoyer für die Bildung

Es geht nicht um Wissen, sondern um Bildung. Es geht nicht um Effizienz, sondern um Vernunft. Der Kabarettist René Sydow vermittelt in seinem dritten Soloprogramm "Die Bürde des weisen Mannes" eine klare Botschaft: Dass wir uns nicht von einer immer stärker beschleunigten, digitalisierten Welt völlig vereinnahmen lassen. Dass wir unser Verhalten reflektieren und der Zukunft, die an uns vorbeizurauschen scheint, nicht nur hinterher hecheln. Beim Bestwiger Publikum kam diese Botschaft an. Über 50 Zuschauer zollten dem 38-Jährigen, der sich auch mit seiner Form des Kabaretts dem Mainstream verweigert, am Samstagabend in der Sparkasse Hochsauerland lang anhaltenden Applaus.

Sydow beklagt eine Entwicklung, der wir Menschen uns viel zu wenig entgegenstemmen. „Computer sollten uns das Leben erleichtern. Jetzt erleichtern sie uns um unser Leben.“ Klar, sei das Internet per se nicht schlecht – „aber es enttäuscht mich doch, was wir daraus machen“. Deshalb befürchtet er für eine durchgehend digitalisierte Welt: „Die Zukunft besteht nur noch aus Einsen und Nullen. Und wir dürfen uns dann entscheiden, was wir sein wollen: eine Eins oder eine Null.“

Gegen den Trend

Sydow mahnt und appelliert. Er moralisiert auch. Aber das ist Ausdruck seiner Leidenschaft, mit der er sich gegen den Trend stellt. Und das nimmt ihm das Publikum ab. Dabei liegt dem ehemaligen Lehrer und Dozenten die Bildungspolitik besonders am Herzen.

„Da hat die Frage, ob in unseren Schulen nicht ein Fach wie Wirtschaft fehlt, eine neue Bildungsdebatte entfacht“, regt er sich auf. Denn Anlass war die Frage, ob Schülerinnen und Schüler auch genügend für die Praxis lernen. Ob es wichtiger sei, Gedichte interpretieren zu können als eine Steuererklärung zu verstehen.

Klar sei es für Schüler oft nicht nachvollziehbar, warum sie sich Gedichte ansehen müssen, weiß auch René Sydow: „Aber Kunst und Kultur bringen uns immer dann weiter, wenn sie uns zunächst überfordern.“ Sie regten unser Denken an. Und das sei wichtig, um auf das Leben vorbereitet zu werden: „Bildung dürfen wir deshalb nicht mit Wissen verwechseln.“ Tatsächlich vermehre sich das Wissen in immer rasanterer Geschwindigkeit – „und dennoch scheinen wir die erste Generation zu sein, die mehr Wissen verliert als dazugewinnt. Weil wir immer mehr zu Konsumenten werden.“

Kohlenstoff-Einheit mit biochemischen Überbau

In Reality-Shows verkümmere der Mensch bereits zu einer „Kohlenstoff-Einheit mit biochemischen Überbau und Organsmus-Problemen, die sich von einem Maulwurf nur dadurch unterscheidet, dass sie einen Bausparvertrag unterschreiben kann.“ Wer Kultur in höherer Potenz erleben wolle, kaufe mittlerweile einen Fruchtzwerg. Und dass die Insekten sterben, werde nicht ernst genommen: „Doof nur, dass nach dem Insektensterben das Vogelsterben kommt. Und nach dem Vogelsterben das Säugetier-Sterben.“

Diese Konsumhaltung spiegele sich auch in der Haltung vieler Eltern wider: „Während sie ihr Kind nach einer Fünf in Mathe früher fragten ‚Was hast Du falsch gemacht?‘, laufen sie heute zum Lehrer und fragen: ‚Was machen Sie falsch?‘. Ein Kind ist heute keine Lebensaufgabe mehr, sondern ein Projekt, ein Start-Up. Das muss von Anfang an funktionieren!“

Und die Politiker bedienten diese Haltung mit ihren Entscheidungen nur allzu oft. Etwa, wenn die Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär, behaupte, Programmieren sei heute genauso wichtig wie Schreiben und Lesen. „Ich bin heute 38 und werde nie programmieren“, wetterte Sydow. Dennoch käme er durchs Leben. Ohne Schreiben und Lesen aber wohl kaum. Die 3,8 Milliarden Euro, die in die Digitalisierung unserer Schulen gesteckt werden, hält er für einen Fehler: „Wie viele Lehrerstellen könnten wir dafür schaffen?“

Auch für die Steuererklärung ist Bildung ein Vorteil

Auch das sei ein Missverständnis in der Bewertung von Bildung und Wissen. Denn die Jugendlichen seien den Lehrern im Umgang mit sozialen Medien immer voraus. „Wenn jetzt das Fach Finanzen eingeführt wird, verkaufen die die Turnhalle doch bei Immoscout, bevor der Lehrer den Tageslichtschreiber aufgebaut hat.“

Selbst im Hinblick auf die Steuererklärung sei Bildung wichtiger als Wissen, ist Sydow überzeugt: „Denn Wissen anzuhäufen hilft, sie auszufüllen. Aber wenn Sie gebildet sind, können Sie dabei auch bescheißen.“

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