"Heiligabend kann ausfallen - aber nicht Bestwig"

Mitten im Menschheits-Endspurt mobilisiert Wilfried Schmickler sein Publikum im Sauerland

"Was machen eigentlich die Demonstranten, die gegen die Corona-Diktatur auf die Straßen gehen, wenn die Pandemie für beendet erklärt ist?" fragte Wilfried Schmickler am Samstagabend seine 300 Zuschauer im Bestwiger Bürger- und Rathaus. "Gehen die dann mit Schildern durch die Straßen, auf denen steht: 'Das Virus lebt!'?" Skurrile Fragen wie diese stellte der Kabarettist in seiner über zweistündigen Nachbetrachtung der Corona-Jahre, die mit der Gegenwart endete: der Ukraine-Krise, der Energie-Krise, der Fußball-WM. Und da alles mit allem zusammenhängt, darf es nicht wundern, dass Schmickler zu überraschenden Erkenntnissen kommt. So wie dieser: "Was haben Fußball und das Virus gemein? Genau: Hauptsache, es wird übertragen."

Trostspender statt Desinfektionsspender

"Kein Zurück" heißt das Programm des kabarettistischen Urgesteins. Kein Zurück gab es auch für seinen Auftritt, obwohl es dafür fünf Anläufe brauchte. Viermal war das Gastspiel wegen der Corona-Pandemie verlegt worden. Vereinsrekord! Und gleich zu Beginn flachste Wilfried Schmickler angesichts einer hartnäckigen Bronchitis: "Mein Hals-Nasen-Ohren-Arzt meinte, ich sollte mal die nächsten Auftritte ausfallen lassen. Da habe ich ihm gesagt: 'Pass mal auf: Ich kann den ersten Advent ausfallen lassen. Auch Heiligabend. Oder Silvester. Aber Bestwig?'" Da hatte er das Publikum natürlich schon auf seiner Seite.

Und auch viele seiner Erfahrungen aus der Corona-Pandemie konnten die Zuschauer teilen: "Ich gebe zu, dass ich während dieser beiden Jahre einen Teil meines Verstandes verloren habe. Zuerst hatte ich mir einen Helm gekauft. Aus Angst, mir fällt die Decke auf den Kopf. Später fing ich an, spazieren zu gehen. Ich. Wo ich mich doch schon als Kind immer fragen musste, worin der Sinn dieser besonderen Art des Luftholens lag." Überall standen Desinfektionsspender. Trostspender wären aber viel wichtiger gewesen. Wenn auch nicht die, die überall in Erscheinung traten: wie Eckart von Hirschhausen.

Die braunen Schläfer sind hellwach

Doch im Gegensatz zu den Corona-Leugnern, die gegen eine Diktatur auf die Straße gingen, sei das alles noch gut zu ertragen gewesen. "Noch nie standen die Tore der Meinungsfreiheit so weit offen wie heute - und das ganz unabhängig von der eigenen persönlichen Störung." Da dürften sogar Menschen in aller Öffentlichkeit für Putin protestieren, weil sie meinen: "Wenn er das Sagen hat, wird Links-Grün eingesperrt, der Sprit wieder billiger, hört das Gendern auf, sind Männer wieder Männer." Und das dürfe man nicht verharmlosen. Denn die Extremisten im Hintergrund seien gut organisiert: "Der Verfassungsschutz spricht von braunen Schläfern. Aber die sind hellwach, gut an Waffen ausgebildet und extrem gut vernetzt. Und ihr politischer Arm ist die AfD." Erst allmählich werde uns das bewusst. In diesem Zusammenhang zitierte Wilfried Schmickler den großen Philosophen Rudi Assauer: "Erst wenn der Schnee schmilzt, siehst Du, wo die Scheiße liegt."

Identitätskrise. Energiekrise. Ukrainekrise. Klimakrise. Flüchtlingskrise. "Der Endspurt der Menschheit hat begonnen", meint Schmickler. Und in dieser Gemengelage müssten sich die Schlussläufer eben mal ablenken oder Textnachrichten schreiben, damit sie wissen, wo sie gerade sind.

Deutschland brauche dabei keine Dürren und Hungerkatastrophen zu befürchten. Hier, wo ein Mensch während seines Lebens im Durchschnitt 1100 unschuldige Lebewesen verspeist, würde sogar ein Drittel aller Lebensmittel vernichtet. Der Kabarettist verlas ein Requiem für seinen Freund, den Baum, besang die Arroganz, dichtete über die Gier und stellte fest, dass weiterhin jeden Tag 130 Tierarten sterben, auch wenn jeden Tag ebenso viele interessante Spielarten dazukämen: wie der Bosch Doppel-Schwing-Schleifer oder der neue Audi Q8.

Es gibt kein Zurück

Am Ende gäbe jeder jedem die Schuld für den Weltuntergang: die Autofahrer den Vielfliegern, die Vielflieger den Tiefkühltruhenkäufern, die Tiefkühltruhen-Verkäufer dem Onlinehandel, die Online-Händler den Rindfleisch-Fressern und die Rindfleisch-Fresser den Vollholzmöbel-Lieferanten. Bei mancher dieser Wortkaskaden blieb Schmickler kaum Zeit zum Luftholen. Und trotzdem zeigt er sich optimistisch, dass das Leben weitergeht: Aber - das wurde an diesem Abend auch jedem klar: Wir müssen achtsam sein. Denn es gibt kein Zurück!

So gab es zum Schluss - vom endlich wieder einmal voll besetzten Saal - lang anhaltenden Beifall. Und Schmickler applaudierte zurück: für das Publikum, das zu ihm kommt, und für die tapferen Veranstalter wie Kultur Pur, die nach zwei Corona-Jahren und etlichen Terminverschiebungen durchhalten würden, um Kabarettisten wie ihm eine Bühne zu geben.

Solange der Endspurt der Menschheit noch dauert, gerne wieder!

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