Eindringlicher Appell an unsere „Ansammlung von Ichen“

René Sydows Heimsuchung wird den meisten Besuchern noch lange in guter Erinnerung bleiben

Politisches Kabarett auf höchstem Niveau wollte René Sydow am Samstagabend im fast schon überfüllten Bürgertreff des Bestwiger Bürger- und Rathauses nicht versprechen. Denn dazu brauche es ja ein entsprechendes Gegenüber. Und das sei bei dem, was sich das Volk zusammenwähle, immer schwieriger zu finden. Und trotzdem gelang dem Künstler aus dem Ruhrgebiet, der zum dritten Mal bei Kultur Pur zu Gast war, mit der Vorstellung seines Programms „Heimsuchung“ ein Abend der Extraklasse.

„Ich bin nicht links. Ich bin nicht rechts. Ich bin nur verzweifelt. Deshalb mache ich Kabarett“, wetterte Sydow. Und das macht er mit Leidenschaft. Der Funke sprang schnell auf das nah um die kleine Bühne herum gruppierte Publikum über. 90 Zuschauer waren gekommen, fast 30 mehr als erwartet. Auch an der Abendkasse wurden noch viele Tickets verkauft. Wann lockte eine „Heimsuchung“ jemals soviele Besucher an?

„Was sind da während der Corona-Zeit bloß wieder alles für Gestalten aufgetaucht?“, rätselte Sydow.  „Einige wähnte ich schon im Plusquamperfekt: wie Friedrich Merz. Und der will jetzt Kanzler werden?“ Der Kabarettist räumt ihm nicht große Chancen ein: „Denn bevor er eine Wahl gewinnt, müsste er erst einmal die Herzen der Menschen gewinnen.“ Doch das Herz spiele in der Politik und in der Wirtschaft eine immer unwichtigere Rolle. Stattdessen gehe es um Optimierung, also um Maximierung, schlicht um Gewinne.

Downsizing und Outsourcing

Immer wieder erzählte der Kabarettist von seinem Schwager Malte, einem Unternehmensberater, der vielen Firmen zum „Downsizing“ rate: „Das ist nur ein anderes Wort für Entlassungen. Insofern ist Malte Jobvernichter von Beruf.“  Auch „Outsourcing“ sei nur die schöne Umschreibung für die Weitergabe von Verantwortung an andere: „Da sind wir ja ganz groß: Gesundheitsleistungen sourcen wir out. Pflege auch.“ Und Deutschland gelinge das sogar mit dem Krieg. „Deshalb liefern wir all die Waffen in die Ukraine. Damit die bloß dort Krieg führen und nicht mit uns. Nicht hier.“ Die Moral dahinter findet Sydow zumindest fragwürdig: „Ein bisschen ist das so, als würde man die eigene Tochter anschaffen schicken, damit der Sohn Theologie studieren kann.“

Wo bleibe der Aufstand gegen das Establishment? Sydow sieht gegenwärtig einen gewaltigen Bruch in der Jugendkultur: „Erstmals haben Jugendliche überwiegend ein positives Verhältnis zu ihren Eltern. Sie fühlen sich durch die Industrie verstanden und zahlen es ihr zurück.“ Erinnert an seine eigene Jugend in den 90er Jahren meint der Künstler: „Das wäre so, als hätte ich früher gesagt: ‚Ich bauspare, höre die Flippers, habe Angst vor Gefrierbrand und wähle Helmut Kohl.“

Schlimmere Pandemien als Corona

Auch fehle der Gesellschaft das Wir-Gefühl. „Stattdessen sind wir nur noch eine Ansammlung von Ichen, die Selbstoptimierung betreiben“ – die zu ihrem Seelenschamanen gehen, um eine Auszeit im Diesseits zu nehmen. „Wo auch sonst?“ fragt der Kabarettist – denn im Jenseits sei ja immer Auszeit.

Die Pandemie habe all diese Entwicklungen verstärkt „und zugleich offengelegt, was schon viel früher im Argen lag.“ Viel gravierender als das Corona-Virus seien ganz andere Pandemien. „Auf Platz Eins: Übergewicht und Diabetes. Auf Platz Zwei: Augenkrankheiten, weil wir immer ganz nah vor dem Bildschirm sitzen und unseren Blick nicht mehr schärfen, indem wir in die Ferne sehen. Und Platz Drei: Die Einsamkeit.“ In Großbritannien fühlten sich neun Millionen Menschen einsam. Dort gebe es sogar schon einen Einsamkeitsminister. „Und die größte Einsamkeitsfabrik der Welt ist das Internet.“ Dort finde man zwar Follwer, bliebe aber trotzdem alleine. „Wer braucht schon Follower?“, raunte Sydow – „Jünger würde ich mir ja noch gefallen lassen…“

Nachdenklicher Abschluss

Ebenso gravierend sei die wachsende Armut: „Mittlerweile haben wir 40 Prozent Geringverdiener. Stattdessen erzählt uns die Politik etwas von Vollbeschäftigung.“ Wer zuwenig verdiene werde daher angesehen wie ein Delinquent unter dem Fallbeil, dem der Henker sagt: „Kopf hoch. Jetzt kommt doch der Aufschwung.“

Die Geringverdiener würden sich sogar für ihre Armut schämen. „Dabei machen sie doch oft die wichtigste Arbeit, die uns alle am Leben erhält: die Müllmänner oder die Reinigungskräfte.“ Auch alle, die in Erziehung, Bildung und Pflege arbeiteten, seien unterbezahlt. Sydow fragt: „Warum sind uns die Berufe, die für unsere Gesellschaft am wichtigsten sind, am wenigsten wert?“

Und so klingt der Abend voller Witz und Spritzigkeit nachdenklich aus, wenn der Kabarettist in der Rolle seines 95-jährigen Großvaters, der als Steiger für den Wiederaufbau des Landes 40 Jahre lang unter Tage geschuftet hat und nun ins Pflegeheim abgeschoben werden soll, auf sein Leben zurückblickt. Er weiß ganz genau: „In diesem Heim keimt etwas. Aber sicher keine Hoffnung.“

Zum Abschluss gab es tosenden Applaus. Im kommenden Jahr hat René Sydow ein neues Programm. Gerne darf er Bestwig damit wieder heimsuchen.

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