"Wir müssen mehr Scheuer wagen"

Mit bissiger Ironie propagiert Tobias Mann im Bestwiger Rathaus eine neue Lebenshaltung

Wie kann man in dieser Welt noch leben, ohne vollends zu verzweifeln? In einer Welt, in der Olaf Scholz beim Joggen fällt, aber Hubert Aiwanger noch steht, in der Richard David Precht daran arbeitet, ein Veredelungsverfahren für heiße Luft zu entwickeln und in der die Super-Reichen wie Elon Musk und Jeff Besos längst dabei sind, diese Welt zu verlassen. Tobias Mann hatte am Freitagabend im Bestwiger Bürger- und Rathaus vor 100 begeisterten Zuschauern eine überraschende Antwort parat: "Meine Challenge lautet: Wir müssen einfach mehr Scheuer wagen."
Denn Andy Scheuer habe ein wichtiges Prinzip der Politik erkannt: "Wenn Du einmal Scheiße baust, bist Du ein Versager. Baust Du aber immer Scheiße, sagen alle: 'Der ist eben so'." Außerdem sei Andy Scheuer genau das, was man sein müsse, um in dieser Welt zu bestehen: schlau genug, um den Alltag zu meistern, aber blöd genug, um nicht alle Zusammenhänge zu verstehen. Ungeniert gab Tobias Mann zu: "Genau da will ich hin." Denn anders sei es auf dieser Welt kaum noch auszuhalten.

Keine Zeit mehr für die großen Fragen

Eine Welt, die immer schnelllebiger, oberflächlicher und hektischer wird. "Heute zieht jeder, der in der Pizzeria auf seine Bestellung wartet, sein Handy hervor. Und sofort ist an wieder online. Früher hatte man in solchen Momenten einfach gewartet und sich den großen Fragen des Lebens gewidmet. "Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Und: Was hatte ich bestellt?" An Reflexion würde es heute allerorten fehlen. Dann würde man vielleicht auch wieder anders denken.
"So aber wird in dieser Republik nur noch das überdacht, was unter einem Carport steht", flachst Tobias Mann. Sonst sei es nicht zu erklären, dass sich Hubert Aiwanger im Amt hält, eine Christine Lambrecht aber wegen ihres Silvestervideos zurücktreten müsse. Offenbar gebe es drei Erfolgsfaktoren für erfolgreiche Politiker: "Sprechdurchfall, eine Reue-Allergie und ein schlechtes Gedächtnis." Hinzu käme natürlich noch Selbstgefälligkeit. "Wenn man diesen Begriff googelt, findet man Bilder von Friedrich Merz", hat Tobias Mann festgestellt.

Klima-Kleber kleben an den falschen Stellen

Doch die Zeiten der "schwarz-gelben" Religion hält er für beendet: "Sie lebte noch ein letztes Mal auf, als Merz mit seinem Flugpenis zu Lindners Hochzeit nach Sylt geflogen ist." Auch Söders Denkmal würde wackeln: "Der Mann ohne Rückgrat, den nur eine Dauer-Erektion aufrecht hält", sparte Mann nicht mit derben Worten.
Reflektierte Politik sei aber auch danach nicht in Sicht. Auch nicht mit den Grünen: "Wenngleich der Habeck immer alles so schön erklärt, dass man ihm gar nicht böse sein kann. Er ist der Golden Retriever der Politik, dem man nach jedem gelungenen Statement sagen möchte: 'Ja, fein kann er das!'"
Da könne er die Verzweiflung der Klima-Kleber verstehen, den die Parteien aus Verzweiflung über ihr eigenes Fehlverhalten als "Klima-RAF" abstempeln wollten. Allerdings fragt sich Tobias Mann, ob die Proteste dieser Aktivisten ihren Ziel helfen, wenn die Politik mit pubertärer Polemik kontere. Deshalb empfahl er dieser Generation: "Klebt Euch besser an dem Wissing fest!"

Ein Hauch von Nihilismus

Und so wunderte es nicht, dass der Kabarettist zum Ende immer pessimistischer wurde und mit dem Andenken an Albert Camus, der - wie das Publikum überraschend erfuhr - ja eigentlich aus Castrop-Rauxel stammt und "Kahmuss" ausgesprochen wird, ein Hauch von Nihilismus durch den Rathaussaal wehte. Aber Tobias Mann kehrte die deprimierenden Erkenntnisse dieses Philosophen dank eines anderen wichtigen Denkers wieder ins Positive: Sisyphus. "Er kam zu der Erkenntnis: Ein Kampf gegen den Gipfel vermag den Menschen zu erfüllen." Tobias Mann übersetzte diese Weisheit mit dem Satz: "Umarmt, was Euch auf den Sack geht."

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