Steuersenkungen, Wirtschaftswachstum, immer mehr Wohlstand. „Dabei weiß doch jeder, dass es ohne erhebliche Eingriffe in die Komfortzonen unser Gegenwart für diese Welt keine Zukunft gibt“, wetterte Wilfried Schmickler am Samstagabend im ausverkauften Bürgersaal des Bestwiger Rathauses gegen die Aussagen der Parteien im Wahlkampf. „Aber ehrlich zu sein, kostet ja Wählerstimmen. Deshalb trauen sich selbst die Grünen nicht mehr, etwas zu verbieten“, bedauert der Kabarettist. Also denkt er darüber nach, die erste Verbotspartei zu gründen.
Dem 70-Jährigen fällt genug ein, was verboten werden müsste: „Zum Beispiel mit mehr als 130 Sachen über die Autobahn zu brettern. Der Export von unserem Plastikmüll in die Länder der sogenannten Dritten Welt. Der Verkauf von Elektrogeräten, deren Ableben beim Verkauf bereits einprogrammiert ist. Steuererleichterungen für Unternehmen, die nicht nach Tarif bezahlen. Atomendlagerung. Waffenbesitz, Massentierhaltung... “ Das Erschreckende daran sei, dass das meiste davon doch selbstverständlich ist: „Aber ohne es zu verbieten, höre es einfach nicht auf.“
Die Konsequenz: „Meine Partei wird deshalb kein Wahlprogramm veröffentlichen, sondern einen Verbotskatalog. “ Das Problem: „Für die meisten in diesem Land gehört eine solche Partei nicht auf den Wahlzettel, sondern verboten.“
„Ich verstehe immer weniger“
Wilfried Schmickler räumte ein: „Es gibt immer mehr Fragen. Und ich verstehe immer weniger: Lindners 'Digitalisierung first. Bedenken second.' Die Zustimmung des DFB zur Fußball-Weltmeisterschaft in Saudi-Arabien. Die Beliebtheit von Sahra Wagenknecht.“ All das gäre in ihm. „Und wenn es gärt, gibt es Verstopfung. Deshalb muss das heute Abend alles raus. Jeder Auftritt ist für mich Therapie“. Dieser Therapiesitzung wohnten die 350 Zuschauer mit großer Begeisterung bei.
Therapiert werden müsse zum Beispiel das Unbehagen gegen die Behauptung von Friedrich Merz, dass die Deutschen dumm und faul geworden sind - oder um mit Richard David Precht zu sprechen: zu einer „Guaven-Dicksaft-Truppe“ mutiert seien. „Sicher, die Japaner könnten uns als Vorbild dienen: Die arbeiten bis zu 50 Stunden - am Tag! Aber glücklich macht die das nicht.“
Schmickler hatte auch eine Erklärung dafür, warum die Deutschen bei der Pisa-Studie so schlecht abschneiden: „Weil man ihnen einfach die falschen Fragen stellt.“ Mathematische Aufgaben scheinen nicht ihre Stärke zu sein. Aber wenn man hierzulande frage, wie man Brückentage und Feiertage zu möglichst viel Urlaub verbinde, fänden alle die Lösung. Und da habe Herr Merz vielleicht recht: „Bridgedays kennen die Amerikaner nicht.“
Eine spannende Rechnung
Die Deutschen müssten aber immer mehr arbeiten, da es aufgrund des demografischen Wandels zunehmend Rentner und weniger Beschäftigte gebe. Und dann stellte Schmickler folgende Rechnung an: „Abzüglich der Rentner, Kinder und Jugendlichen bleiben 37 Millionen Menschen. Zieht man die Beamten und sonstige Geringfügig-Beschäftigte ab, bleiben noch 20 Millionen. Davon wiederum sind drei Millionen krank und 1,5 Millionen verpassen morgens den Bus.“ In immer kleiner werden Margen subtrahierte Schmickler schließlich bis zu der Gruppe der wenigen Hundert, denen ihre Sekte das Arbeiten verbietet und Richard David Precht - der ja auch nicht arbeitet, weil er immer nachdenken muss - soviel, dass am Ende gerade 350 arbeitende Menschen übrig blieben. Und, Überraschung: „Das sind genau wir hier im Saal!“ Die Erkenntnis: So lässt sich wohl alles ausrechnen, was der politischen Meinungsmache dient.
Sorge bereitet dem Polit-Kabarettisten auch, dass alle Parteien mit Ängsten spielen: „Aber mal ehrlich. Wofür müssen wir in Deutschland Angst haben: Vor Bombenhagel? Vor einer Dürrekatastrophe? Vor Hunger? Ganz sicher nicht vor den Flüchtlingen, wie uns die Parteien weismachen wollen. Und wenn Du denkst, es geht nicht blöder, dann kommt der Söder“, lief Schmickler zur Hochform auf.
Der bayerische Ministerpräsident wolle das Recht auf Asyl sogar aus dem Grundgesetz entfernen. „Alle meinen ja, die Flüchtlinge nähmen uns etwas weg. Aber die Einzigen, die mir etwas wegnehmen, sind die Banken, die Steuersünder, die Großkonzerne, die hier ganz legal gar keine Steuern zahlen.“ Es sei fatal, die Menschen zu verunsichern, so der Kabarettist: „Denn je größer ihre Verunsicherung, desto einfacher ist es, ihnen die dreistesten Lügen als Wahrheiten zu verkaufen!“
„Älterwerden ist etwas für Kinder“
Das gelte übrigens auch für den Jugendwahn. Elke Heidenreichs Abhandlung über das Altern habe er zwar nicht gelesen - „denn Älterwerden war für mich immer etwas für Kinder.“ Aber dass einem jeder Glauben machen wolle, man müsse in seine Jugend investieren, hält Schmickler gleichermaßen für eine Lüge: „Es ist doch peinlich, wenn sich die Qualität der Outdoor-Ausrüstung eines Rentners proportional umgekehrt zur Leistung verhält.“ Und Funktionswäsche sei nun mal einfach nicht sexy. Stattdessen solle man die Bedürfnisse alter Menschen endlich mal ernst nehmen.
Und das bringt Schmickler doch noch auf die Idee zu einer wirkungsvollen Kampagne, wenn es schon nichts mit der Verbots-Partei wird: „Mit zwei Kollegen vom Altersheim gegenüber habe ich jetzt eine Initiative gegründet: Die 'Graue Zelle'.“ Die setze sich zum Beispiel dafür ein, dass in jedem Supermarkt zumindest mal ein Stuhl steht, auf dem man sich ausruhen kann. „Wir sind zu dritt. Den Herbert nehmen wir in unsere Mitte. Der hat eine Mehlstaub-Allergie. Wenn der dann vor dem Betreten des Ladenlokals einen tiefen Zug aus der Mehltüte nimmt, kriegt der Husten mit Auswurf. Im Supermarkt platzieren wir ihn dann direkt vor der Fleischtheke. So bekommen wir alles!"
Um Ziele zu erreichen, sei also Fantasie gefragt. Und deshalb lässt sich Wilfried Schmickler seinen Optimismus nicht nehmen, dass wir doch Wege finden mögen, die die Welt ein bisschen besser machen. Die 350 therapierten Zuschauer dankten es ihm bei seinem sechsten Auftritt in Bestwig mit stehenden Ovationen.